Biwaktour im Dovrefjell
Part I - Die Anreise
Freitagmittag, schönstes Wetter: Gut gelaunt rollen wir mit den Fahrrädern vom Studentenwohnheim hinunter zum Bahnhof. Mit gezückter Kreditkarte marschieren wir zum Ticket-Automaten um einen Fahrschein nach Kongsvoll zu lösen. Doch dort erwartet uns eine Überraschung: der Zug ist ausverkauft. Das sei normal, meinen sie beim Kundenservice, es sei schließlich Wochenende. Auch im nächsten Zug, ca. zwei Stunden später, sei nichts mehr frei.
Wir beginnen Alternativen zu abzuwägen. Hierbleiben? – Angesichts des Wetters kaum eine Option. Anfahrt im Kofferraum von Benis Auto? – schon etwas riskant. Der Nachtzug? – schon eher. Um es kurz zu machen: Dank Benis Verhandlungsgeschick und einem halbwegs kooperativen Schaffner schaffen wir es schließlich, Restplätze in der Spielecke des Nachmittagszugs zu bekommen. Während wir uns auf viel zu kleine Bänkchen zwängen kommen von Zeit zu Zeit immer wieder Eltern vorbei, die hoffen ihre Bälger dort abstellen zu können um endlich ihre Ruhe zu haben – um dann das Abteil von einer Horde Studenten in Beschlag genommen zu sehen.
Part II - Der Aufstieg
Gegen sechs Uhr abends kommen wir in Kongsvoll an. Der “Ort” besteht eigentlich nur aus einem Bahnhof. Man sieht, es ist Herbst geworden. Ein wohliger Duft von Herbstlaub hat sich ausgebreitet. Das ganze Tal glüht golden angesichts der bunten Blätter und der Abendsonne. Wir haben ca. fünf Stunden Aufstieg bis zur Reinheim-Hütte vor uns. Der Weg führt uns zunächst relativ steil durch den Laubwald, bis wir ziemlich bald die Baumgrenze erreichen. Von dort führt uns der Pfad einem Bachlauf folgend durch eine Hochebene. Am Horizont lässt sich bereits der Snøhetta (2286m) erkennen, während die Abendsonne langsam dem Mond weicht. Die Nacht ist sternklar und gegen elf Uhr tauchen die ersten Nordlichter auf und erzeugen eine ganz besondere Atmosphäre – Das ist das Norwegen, wie ich es mir vorgestellt habe.
Gegen Mitternacht kommen wir an der Hütte an. Das Haupthaus ist von einer 20-köpfigen Outdoor-Gruppe in Beschlag genommen. Im Nebengebäude sind aber noch genügend Schlafplätze für uns vorhanden. Um die anderen Gäste nicht zu stören beschließen wir unseren Couscous draußen zuzubereiten. Schnell ist der Trangia aufgebaut und schon brutzeln Bacon, Zwiebel und Karotten auf dem Gasbrenner. Hinter der Hütte leuchten die verbleibenden Schneefelder des Snøhetta-Gletschers im Mondlicht. Eigentlich, überlegen wir, wäre diese Nacht doch zu perfekt, mal wieder etwas Unsinniges zu tun. Ziemlich bald sind wir uns einig und machen uns nach einer ordentlichen Stärkung wieder auf den Weg.
Part III - Der Gipfel
Weitere vier Stunden marschieren wir durch die Nacht. Der Mond scheint so hell, dass wir die Stirnlampen die meiste Zeit ausgeschaltet haben. Gegen drei Uhr Nachts ist die Nordlichteraktivität am höchsten. Ein G3-Sonnensturm hat die Erde erreicht. Gebannt beobachten wir, wie weiß-grünliche Schwaden über die Berggipfel ziehen und am Nachthimmel pulsieren. Nach weiteren zwei Stunden erreichen wir den Gipfel. Alles ist noch dunkel, in nordöstlicher Richtung lässt sich aber schon ein schwacher Schimmer der Sonne erahnen. Die Temperatur am Gipfel liegt schon deutlich unter dem Gefrierpunkt. Wir wickeln uns in unsere Schlafsäcke ein, kochen Kaffee und warten.
Der Sonnenaufgang dort oben ist einfach atemberaubend. Der Snøhetta ist der höchste Gipfel in Norwegen außerhalb von Jotunheimen, so dass man eine gigantische Fernsicht hat. Beeindruckend sind auch die vereinzelten Wolken, die wie Wattebäusche über die Bergrücken entlangziehen um sich dann aufzulösen. Durch die Sonne wird es schon bald sehr viel wärmer und wir machen uns wieder an den Abstieg zur Hütte um uns dort auszuruhen.
Part IV - The breaking of the Fellowship
Ein Teil der Gruppe beschließt gleich am Samstagabend wieder nach Trondheim zurückzufahren. Auch hartnäckiges Zureden kann Yvan, den Schweizer im Bunde, nicht davon abbringen. Ihn plagt ein schlechtes Gewissen wegen seiner Masterarbeit. Wenn er nur wüsste, was ihm am nächsten Tag entgehen wird… Stattdessen beschließt er, den gesamten (durchaus steinigen) Weg nach Snøheim barfuß zurückzulegen. Von dort gibt es einen Shuttlebus nach Hjerkinn, das wieder halbwegs in der Zivilisation liegt. Ich bleibe mit einem Niederländer, Rowan, an der Hütte, mit dem Ziel noch zwei weitere Tage im Dovrefjell zu verbringen.
Part V - Åmotdalshytta und das Rentier
Nach einem kurzen Nickerchen in der Sonne machen wir uns zur Åmotdalshytta auf. Da es nach einem sehr kurzen Regenschauer wieder aufklar, beschließen wir die Nacht draußen zu schlafen, aber drinnen zu kochen. Die Hütte extrem gemütlich und hervorragend ausgestattet. Als wir die Küche betreten ist dort eine Gruppe von Norwegerinnen zu Gange, ein ziemlich dekadentes Menü zuzubereiten. Es gibt Rentiersteaks, dazu Kartoffelpüree, Pilze, Bacon, Rotwein und eine Nachspeise aus karamellisierten Äpfeln. Etwas beschämt machen wir uns daran unsere Fertignudeln in einen Topf zu kippen.
Dann beim Anbendessen, die große Neuigkeit: Ein Jäger sei gerade zur Hütte zurückgekehrt und habe ein Rentier geschossen. Alle Hüttengäste begeben sich nach draußen um das Geweih zu bewundern – ein wahres Prachtexemplar. Es kommt noch besser: Er leide unter Knieproblemen und könne das Fleisch nicht selbst nach Hause tragen. Jeder der hier sei, könne sich bedienen und Fleisch mit nach Hause nehmen. Das lassen wir uns natürlich nicht zweimal sagen. Ich bekomme den Schlegel ab. Die drei Kilo mehr im Rucksack sind deutlich spürbar, aber was nimmt man nicht alles auf sich für gutes Essen!
Den Abend verbringen wir am Lagerfeuer. Der Jäger grillt einige Rentierfleisch-Streifen, die mit Salz und Pfeffer gewürzt ein einmaliges Geschmackserlebnis abgeben. Die Norweger unterhalten sich über Dialekte, kommen aber nicht überein, wie man “Trondheim” jetzt tatsächlich auszusprechen habe. Gegen Mitternacht ist allgemeine Bettruhe und wir verkriechen uns in unseren Biwaksack.
Part VI - 2000m Traverse
Das anhaltend gute Wetter verleitet uns dazu, nicht den direkten Weg nach Snøheim zurück einzuschlagen, sondern den Umweg über eine Bergkette zu nehmen. Der Weg führt zunächst im Tal an Gebirgsseen entlang, bis wir irgendwann weglos durch eine Felswüste wandern. Der Hang ist ziemlich steil und durch Kraxeln von Fels zu Fels kommen wir nur langsam voran. Schließlich erreichen wir aber den Grat und werden durch einen gewaltigen Ausblick auf Gletscher und ferne Gebirgszüge belohnt. Weiter dem Höhenzug folgend gelangen wir auf den “Storstygge Svånåtinden” (2209m). Von dort führt uns eine (mit schwerem Rucksack nicht zu unterschätzende) Kletterei wieder talwärts. Da es schon dämmrig wird, beschließen wir nicht mehr bis nach Snøheim zu laufen, sondern eine weiter Nacht zu biwakieren und schlagen unser Lager in der Nähe eines Sees auf.
Part VII - Rückkehr
Am nächsten Morgen brechen wir nach einer erholsamen Nacht endlich nach Snøheim auf. Die Strecke ist nicht mehr so lang wie wir erwartet haben und nach etwa zwei Stunden erreichen wir auch schon die Hütte. Diese Unterkunft ist das ultramoderne Prunkstück des DNT. Wenn auch nicht ganz so gemütlich wie die Åmotdalshytta am Tag zuvor, hat man es hier geschafft, trotz der Größe noch ein bisschen den Charme einer Berghütte zu erhalten. Wir setzten uns in die Sonne und trinken Kaffee, während wir auf den Bus warten.
Der Shuttlebus bringt uns nach Hjerkinn, das ebenso wie Kongsvoll, nicht aus wesentlich mehr als einem Bahnhof besteht. Da wir noch über zwei Stunden auf den Zug warten müssen, versuchen wir zu hitchhiken. Nachdem auf der E6, der so genannten “Hauptverkehrsader durch Norwegen” innerhalb von einer dreiviertel Stunde gerade einmal gute zehn Autos passieren, von denen keines anhält, dafür aber uns eines ärgerlich anhupt, geben wir gelangweilt auf und setzen uns an den Bahnhof. Wie wir später erfahren werden, war der andere Teil der Gruppe in dieser Hinsicht erfolgreicher. Den Wochenendverkehr nutzend, schafften sie es, innerhalb von nur zwanzig Minuten eine Mitfahrgelegenheit zu bekommen.
Zurück in Trondheim werden wir vom Rest der Gruppe gleich mit Karottenkuchen empfangen, tauschen die Erlebnisse des Wochenendes aus und planen ein gemeinsames Abendessen. Mit Rentierbraten, versteht sich!
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